NUR SO AM RAND
von Christian Dinse
von Christian Dinse
Diese Seite enthält die Texte »Mit dem ersten Majordeal begann das Sterben« und »Schönste Bierlaune meines Lebens«.
Der kurze Abriss über zehn Jahre Rapboard in Deutschland
31.03.2009 | von Christian Dinse
Geschichtlich geht es im Hip Hop, ganz gleich auf welchem Kontinent, seit spätestens der 1990er Jahre hauptsächlich ums Geld. Vielleicht ist es nicht fair, dies pauschal zu behaupten, denn die Dunkelziffer derer, die Hip Hop tatsächlich aus Leidenschaft gemacht haben war vorhanden. Hip Hop ist tot, und nicht irgendwer, sondern wir alle sind daran Schuld.
Ich wollte an dieser Stelle darüber schreiben, wie traurig es mich stimmt, dass eine einst schöne Szene nicht mehr vorhanden ist, werde aber einen anderen, einen realistischeren Ansatz wählen. Im Sommer begann ich damit, alte Kontakte wiederzubeleben. Ich stellte fest, wie schwer dies geworden war. Das Gesprächfinden offenbarte die Herausforderung, die man eingeht, wenn man ein Klassentreffen auf die Beine stellen will.
Wenn du die erste Nummer auf der Liste wählst, und direkt mit einem »Anschluss nicht vergeben« als Ergebnis konfrontiert wirst, steigert das allerdings deine Motivation zum Weitermachen, weil du weisst, für eine gute Sache zu arbeiten.
Wenn nach zwei Wochen nur noch ein winziger Haufen von dem da ist, was dich einst umgab, beginnst du nachzudenken.
Ich merkte, das die Menschen mit denen ich Tag ein, Tag aus einherging nicht mehr wie einst waren. Es gab diesen einen Produzenten nicht mehr, jedenfalls nicht um 14 Uhr wochentags. Aus ihm ist geworden, was er vor Jahren nicht glaubte: Bänker. Auch der DJ, der sonst Stunden pro Tag damit zu brachte sein Samplearchiv auf Vordermann zu bringen, war auf wundersame Weise zum Sachbearbeiter einer Versicherungsgesellschaft mutiert.
Nach über einem Jahr der Entscheidungsfindung bin ich nicht unglücklich darüber, dass das Meiste von dem, was um uns war, nicht mehr existiert.
In Wahrheit ist es noch da. Ich habe verstanden, die Menschen als den größten Schatz zu sehen, und nicht Pseudonyme, Treffen in verrauchten Studios, Produzentenbüros in Kellergewölben unter Fahrradläden oder verkrampftes Symbolezaubern mit diversen Fingern der Hand.
Alle sind noch da, ich habe alle wiedergefunden.
Es ist wie 1998.
Jeder ist älter geworden, hat seinen Weg im Leben gefunden und festgestellt, dass es nicht funktionieren kann, jahrzehntelang den gleichen Idealen hinterher zu laufen.
Hip Hop funktioniert heute nur noch so wie es Pop, Rock und Elektro schon Jahre länger tun. An Reißbrettern von Medienunternehmen und im allgegenwärtigen Klingeltonfernsehen.
Was haben wir uns damals gefreut, als die Werbeabteilung eines Schuhherstellers anrief, um einen Track für einen TV-Spot zu verwenden. Heute ist das nichts mehr wert, der Sound ist allgegenwärtig.
Seit Jahren wird Rap mit Elektro gemischt, das was irgendwann Revolution war, ist heute das einzige, was mir über den Weg läuft. Es gibt keine Innovationen mehr, und selbst wenn, sie würden nie wieder das auslösen, was hinter uns allen liegt.
Hip Hop, und das besprachen wir bereits zum Start des Forums und unserer Arbeit im Jahr 1996, ist eine Modeerscheinung. Nach 13 Jahren ist dies bewusster denn je. Wir haben die besten und größten Plattenlabels der 80er Jahre sterben sehen, selbst große Marken aus deutschsprachigen Landen haben sich in leerstehende Büroräume verwandelt.
Es ist alles da gewesen was möglich ist. Es kann keine neue Welle geben. Rapper schreiben heute Bücher, sitzen in Jurys von Castingshows oder lassen sich in »Ich suche eine Frau«-Shows durch die Medien ziehen. Es ist gut zu wissen, dass viele von denen, die mir die Hand geschüttelt haben, auf Grundlage ihres Tuns in den 80er und 90er Jahren, noch immer Geld verdienen, es ist aber genauso gut zu sehen, dass all die anderen fest im Leben stehen.
Der Eine hat letzens gesagt, sich für sein Kind und gegen Zeit mit seinem Textbuch entschieden zu haben, sei das Beste was ihn je passiert ist. Den gleichen Kerl habe ich damals vor Freude im Kreis hüpfen sehen, als der (Knebel)vertrag mit der vierbuchstabigen-Plattenfirma unterzeichnet war.
Ich danke allen Personen, die seit 1996 am Aufbau des Rapboard in Deutschland beteiligt waren. Rapboard.de firmierte und agierte während der ersten drei Jahre als Teil der schönsten Bierlaune meines Lebens, dem Hip Hop-Magazin »Westcoast-Zine« und dessen Berliner Ableger WCZ-Berlin. Vielen Dank an Henning und PRONE, ohne die es niemals ein deutschsprachiges Rapboard gegeben hätte.
3455 Tage lang haben wir polarisiert und oft Prügel eingesteckt, in einer jungen, identitätsuchenden Szene. Viele von uns sind mit diesen Projekten gewachsen, viele Karrieren sind entstanden.
All ihr Altgewordenen, auf euch!
Als aus einem Lebensgefühl eine Lebensaufgabe wurde.
15.07.2002 | von Christian Dinse
Im Jahr 1996 habe ich Nils kennengelernt und durch ihn – und das aufkeimende Internet in den Haushalten – fast schon im Stundentakt weitere Kreative, Künstler, Musiker und inspirierend verwirrende Menschen. Bis dahin war Zugfahren angesagt, wenn du dich mit unser gleichen in Heidelberg, Zürich oder München treffen wolltest. Von jetzt auf gleich sind wir in der Lage gewesen, fast pausenlos zu kommunizieren. In Windeseile haben sich Neuigkeiten, Pläne für Veranstaltungen, Terminabsprachen und sogar Fotos mit der Meute teilen lassen. Nicht einmal die Uhrzeit oder Zeitzone hat mehr eine Rolle gespielt.
Eine der schönsten Bierlaunen meines Lebens war die Gründung des Hip-Hop-Magazins WESTCOAST ZINE im Winter 1997. Unsere kleine Welt, die da aus etwa zwanzig bis dreißig Menschen in Deutschland bestand, brauchte einen Rahmen und einen Multiplikator.
Das Internet hat geholfen, nicht nur über den eigenen Tellerrand sehen zu können, sondern auch darüber zu klettern und so nahm das »WCZ«, so die offizielle Abkürzung des Magazinnamens, im November seine Arbeit auf. Angefangen haben wir mit Schallplatten- und CD-Kritiken. Es folgten Konzertberichte und redaktionelle Artikel zu Musikern und Szeneveranstaltungen, wie dem »Battle of the year« oder »Scribble Jam«. In kleinen Schritten wurden wir internationaler. Jeden Tag kam von irgendwo in Europa oder der Welt ein neuer Schnipsel. Wie die Geier haben wir uns auf die Berichte und Fotos gestürzt. Das hat viel Spaß gemacht, aber um die eigene Relevanz zu steigern musste aus dem passiven Berichten und Abbilden der Hip-Hop-Szene eine aktive Kraft werden. Der wichtigste Schritt zur Professionalisierung war getan, als wir begannen, Interviews bei Künstlern und Presseausgaben von CDs und Schallplatten bei Plattenfirmen anzufragen. Das ist zu Beginn ein Unterfangen gewesen, wie wenn du planst, dein Leben in der Schweiz zu verbringen. Dort brauchst du eine Arbeitsstelle um leben zu dürfen. Um die Arbeitsstelle zu bekommen, brauchst du eine Wohnung und um die Wohnung zu bekommen, brauchst du eine Arbeitsstelle. Kurz gesagt, es braucht einen entscheidenden Moment, den Kreis zu durchbrechen und den Schritt zu schaffen, anerkannt und gehört zu werden.
Ich muss vielmals Danke sagen. Danke an all die Menschen, die täglich für das »WCZ« ihre Freizeit geopfert haben und uns gemeinsam, innerhalb weniger Jahre, an die Spitze katapultierten. Wir waren immer ehrlich, immer mit Herzblut dabei, immer selbst finanziert und haben uns nie fremd steuern lassen. An Flughafenterminals, auf schäbigen Toiletten, in Proberäumen und Restaurants sind Interviews mit Künstlern entstanden. In vollen Zügen, in Fernbussen oder auf den Rücksitzen von überladenen Kleinwagen zogen wir durch Deutschland, Österreich, Schweiz und Europa. Wir genossen die Abwechslung vom Schreibtisch, pilgerten zu Bühnen, bemalten Hauswände, schliefen zu wenig, begannen Hitlisten der besten Dönerbuden zu schreiben. Wir halfen motivierten Textern Hitlisten zu stürmen und sind uns niemals zu schade gewesen, die Hände schmutzig zu machen. Ungezählte Blasen an den Händen vom Equipment schleppen, hunderte Meter Kleinbildfilm, merkwürdige Dämpfe, abgefackeltes Catering, durch die Sonne geschmolzene Schallplatten, perfekte Lichtsettings, überflutete Lagerräume, fehlender Starkstrom, falsche Erwartungen, tiefenentspannte Musiker, gesperrte Zufahrtsstraßen, lachende und tanzende Besucher, drogenverkaufendes Garderobenpersonal, mafiöse Veranstalter, Strafzettel, dankbare Nachbarn, gefüllte Kassen, Top-10-Platzierungen, Videodrehs, gratis Getränke, Augen zudrückende Ordnungsämter, Gästelistenbettler, gut gelaunte Zeitungsredakteure und Sponsorenverträge waren ein winziger Teil dessen, mit dem wir uns königlich amüsierten oder rumschlugen. Unsere Motivation ließ die Herzen rasen, die unstillbare Lust nach Geschwindigkeit und Musik waren unsere Drogen. In der Hochzeit aus 140 Wochenstunden wach sein, emotionaler Arbeitswut und hemmungslosen Zeitplänen haben wir auch Rückschläge kassiert, konnten dabei jedoch blind auf einander zählen.